Hitlers Karrierestart (2024)

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Hitlers Karrierestart: Vom V-Mann zum Massenmörder

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Hitlers KarrierestartVom V-Mann zum Massenmörder

Die Entdeckung der Zwickauer Terrorzelle hat eine grundsätzliche Frage aufgeworfen: Wem dienen V-Männer? Schon Adolf Hitler verdingte sich in jungen Jahren als Informant der Bayerischen Reichswehr - und übernahm schließlich die Partei, die er eigentlich bespitzeln sollte.

VonJörg Diehl

"Ich sah ein bleiches, mageres Gesicht unter einer unsoldatisch hereinhängenden Haarsträhne, mit kurzgeschnittenem Schnurrbart und auffällig großen, hellblauen, fanatisch kalt aufglänzenden Augen." So schilderte später der Historiker Karl Alexander von Müller seine erste Begegnung mit einem Infanteristen namens Adolf Hitler. Linkisch habe sich der junge Mann bewegt, mit einer "trotzigen Verlegenheit", doch seine Art zu reden habe andere Menschen fasziniert.

Müller machte Hitlers Vorgesetzten, den Hauptmann der Reichswehr Karl Mayr, auf dessen rhetorisches Talent aufmerksam, und wenn man so will, geriet in diesem turbulenten Münchner Sommer 1919 eine Dynamik in Gang, die den abgetakelten Weltkriegsteilnehmer schließlich zum sogenannten Führer machen und damit ganz Europa in eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes stürzen sollte.

Doch zu diesem Zeitpunkt war der Heimkehrer Hitler noch einer von vielen desorientierten und desillusionierten Soldaten und bereit, "von irgendjemandem einen Posten anzunehmen, der ihm freundlich gesinnt war", wie Mayr notierte. "Er glich einem müden streunenden Hund, der nach einem Herrn suchte. Das deutsche Volk und sein Schicksal ließen ihn kalt."

"Vollkommen offen und formbar"

Der neue Chef wurde Hauptmann Mayr, dem damals die Nachrichtenabteilung im Gruppenkommando Nr. 4 der Bayerischen Reichswehr unterstand. Und die betrachtete es in Ermangelung anderer intakter Instanzen des Staates als ihre Aufgabe, die politische Szene zu überwachen und mit Hilfe einer als Aufklärung verbrämten Indoktrinierung angeblich gefährliche Einstellungen zu bekämpfen: Der Feind, das war klar, stand links. Doch um gegen ihn vorzugehen, brauchte es sowohl Spitzel als auch Hetzer - und Hitler versprach, beides zu sein.

Die politische Identität Adolf Hitlers, so der Historiker Thomas Weber, sei wohl kaum durch traumatische Fronterlebnisse eingebrannt worden. Die habe es nämlich so gut wie nicht gegeben. Hitler sei bei seiner Rückkehr aus dem Krieg "vollkommen offen und formbar" gewesen, seine Einstellung hätte "zu diesem Zeitpunkt noch in verschiedene Richtungen gelenkt werden" können. Absurderweise scheint sich der spätere Diktator also ausgerechnet in seiner Zeit als Späher und Spitzel radikalisiert zu haben.

Denn seit dem Frühsommer 1919 arbeitete Hitler als V-Mann für die Dienststelle des Hauptmanns Mayr, der enorme Geldmittel aus unbekannten Quellen für sein Agentennetz aufwenden konnte. Zu Hitlers Aufgaben zählte zum einen, in entsprechenden Kursen den "bolschewistisch verseuchten" Truppen die rechte Gesinnung beizubringen, wie ein Offizier notierte. Zum anderen beauftragte Mayr den Fußsoldaten damit, kleine Parteien aus dem Getümmel radikaler Gruppierungen zu beobachten und ihm über deren Wirken zu berichten.

Hitler verhält sich wenig konspirativ

Üblicherweise waren die Rapporte solcher V-Männer nicht von besonders hoher Qualität: Der Historiker Ernst Deuerlein, der derlei Dokumente ausgewertet hat, schrieb fast schon etwas pikiert, die Ausdrucksweise der meisten Informanten sei primitiv und einer von ihnen sei sogar "der deutschen Schriftsprache nur sehr mangelhaft mächtig" gewesen. Die Meldungen der Spitzel hätten vor allem die phrasenreichen und schwülstigen Reden transportiert, die zu dieser Zeit bei Kundgebungen in Münchner Bierkellern gehalten worden seien.

Die Berichte des V-Mannes Hitler sind nicht überliefert, jedoch ist bekannt, dass er am 12. September 1919 einen Auftrag erhielt, der die Geschichte verändern sollte. An jenem Freitag schickte ihn der Hauptmann Mayr ins Wirtshaus Sterneckerbräu, wo Hitler die Versammlung der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) auskundschaften sollte. Es referierte der spätere nationalsozialistische "Wirtschaftsguru" Gottfried Feder über die "Brechung der Zinsknechtschaft".

Doch die Rolle des unauffälligen Beobachters hielt Hitler nicht lange durch, wie sein Biograf Ian Kershaw schrieb. In der auf den Vortrag folgenden Diskussion redete sich der wenig konspirativ agierende Reichswehrspitzel derart in Rage, dass sein Debattengegner düpiert den Saal verließ und der DAP-Vorsitzende Anton Drexler gestaunt haben soll: "Mensch, der hat a Gosch'n, denn kunnt ma braucha."

Diktator in spe

Hitler aber zierte sich zunächst. Nach dem vorsichtigen Besuch einer DAP-Vorstandsversammlung in einer schäbigen Gaststätte notierte er über seine künftige politische Heimat: "Eine Vereinsmeierei allerärgster Art und Weise." Doch in der strukturellen Schwäche der Partei witterte der Diktator in spe gleichzeitig eine Chance: Eine kleine Gruppierung biete "dem Einzelnen die Möglichkeit einer wirklichen persönlichen Tätigkeit" und die Perspektive, sie zu "beherrschen".

Hauptmann Mayr wiederum behauptete später, er habe Hitlers Eintritt in die Partei befohlen und diesen mit Geld unterstützt, um der DAP zu größerem Erfolg zu verhelfen. Jedenfalls blieb der politisch aktive Hitler allen Gepflogenheiten zum Trotz zunächst Soldat der Reichswehr und kassierte neben seinem Sold auch die Honorare eines Bierkellerhetzers. Einige Monate später hieß die Bewegung dann NSDAP, und wiederum ein Jahr darauf stellte sich Hitler an deren Spitze.

Sein früherer Förderer indes, inzwischen zum Major befördert, segelte noch einige Jahre im Windschatten seines einstigen Untergebenen. Mitte der zwanziger Jahre dann wandelte sich Karl Mayr aus unbekannten Gründen zum ebenso radikalen wie öffentlich agitierenden Nazi-Gegner. Er wurde zudem Mitglied der SPD. Mit der Machtübernahme Hitlers emigrierte Mayr zunächst nach Frankreich, später fasste ihn die Gestapo dennoch.

Karl Mayr starb kurz vor Kriegsende bei einem Bombenangriff auf das Konzentrationslager Buchenwald. Sein Nachlass, der eventuell weiteren Aufschluss über den V-Mann Adolf Hitler hätte geben können, gilt als verschollen.

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